Fragen an einen Tod

Eine freie Bearbeitung nach dem Roman “Chronik eines angekündigten Todes” von G. Garcia Márquez
Spiel: Anna Clementi, Cristian Wewerka, Calle Overweg
Regie: Rudolf Schmid, Figuren: Martina Faber, Mano Gießen

„Sie suchte ihn in der Finsternis,
fand ihn auf den ersten Blick unter so vielen,
vielen dieser und der anderen Welt verwechselbaren Namen
und nagelte ihn mit sicherem Pfeil an die Wand, wie einen wehrlosen Falter,
dessen Todesurteil von vorneherein feststand.“
(G. Garcia Máquez, aus: „Chronik eines angekündigten Todes“)

Die Bühne – ein Jahrmarktsgestell, Podest einer Hinrichtung, Schaukasten. Ein bizarres Gehäuse, nur Gerüst um eine Idee, die Bild für Bild an Deutlichkeit gewinnt. Figuren, noch ohne Leben, hängen wie Zufälle über dem Schauplatz einer Geschichte, die sich aus Erinnerung zusammen setzt.

Das Fliegendes Theater erzählt einen Mord auf die eigenwillige Art des Objekttheaters – die Parabel vom unausweichlichen Tod des Santiago Nasar. Drei Akteure, die Figuren bewegen, gemeinsam mit der Frage nach Schicksal: Ein Mensch soll getötet werden. Jeder weiß um das Vorhaben des Mordes. Trotzdem gibt es niemanden, den Mord zu verhindern. Wie im Traum reihen sich die Bilder, wechseln die Realitäten. Tonfiguren in einem Dorf aus Gips, ein winkender Bischof aus Pappe. Gliederpuppen, die mit unbewegten Gesichtern den Verlauf einer Tötung schildern – Stellvertreter einer grausam-komischen Menschlichkeit. Ein faszinierendes Spiel um eine Zerstörung. Eine Tragödie, erschreckend durch die Profanität der Ereignisse, die Mord erscheinen lassen wie Bestimmung.

TAGESSPIEGEL / FEUILLETON I3. NOVEMBER 1993
Marquez total
Der kolumbianische Schriftsteller Gabriel Garda Merques ist „in“. Sein 1981 in Originalausgabe erschienenes Buch „Chronik eines angekündigten Todes“ wird jetzt in einer eigenen Fassung vom Fliegenden Theater aufgeführt. Die Darstellung der drei Schauspieler muß einfach faszinieren. Wogen unterschiedlichster Stimmungen prasseln auf das Publikum ein und bestimmen das impulsive Spiel. Der 21jährige Santiago Nasar wird von den Brüdern Vicario ermordet, die damit den Verlust der Jungfräulichkeil ihrer Schwester rächen wollen. Angela Vicario gelang es, sich mit dem reichen Bayardo San Roman zu verheiraten, der sie jedoch, als er die Wahrheit entdeckte, in ihr Elternhaus zurückschickte. Alle Dorfbewohner außer dem Opfer wissen Bescheid, doch niemand vereitelt das grausame Vorhaben.
Anna Clementl, Calle Overweg und Christian Wewerka lassen in ihrer überzeugenden Darbietung diese unheimliche Vorkenntnis einfließen. Sie agieren nicht nur als Schauspieler, sondern schlüpfen zugleich in die Rollen mehrerer der 12 bewußt streng wirkenden Gliederpuppen. Insbesondere Anna Clementi trägt mit ihrer wandelbaren Stimme, je nach Situation als Hure, Maria oder eine der Figuren anleitend, sehr zur realistischen, aber auch gespenstischen Stimmung bei.

 

Kultur Volksblatt 10.November 88
Spannungsreiches Spiel um einen rituellen Mord
Die Puppen sehen aus, als seien sie von Francis Bacon, groteske, in ihren Proportionen verzerrte Gestalten. Die Marquezsche Chronik des Mordes aus falsch verstandener verlorener Ehre, von dem jeder weiß, den aber niemand verhindert, entwickelt sich im Rückblick, mit zunehmender Klarheit und lntensität. Die Geschichte einer Tötung, die wie eine Hinrichtung allgemein akzeptiert und verharmlost wird, wird aufgerollt in einem Bilderbogen mit immer dichterer Szenenfolge. Diskutieren die Darsteller zu Beginn noch aus ihren unterschiedlichen Perspektiven über das Geschehen, werden sie im Verlauf des Spiels immer stärker Teil der Ereignisse. Eine einleuchtende, spannungsreiche Aufführung, die das Motiv der um ihr Lebensglück betrogenen Frau ausspart und sich ganz auf das Offenlegen eines rituellen Mordes konzentriert.